Barriere (frei)

Versuchsanordnungen über Widerstände und Hindernisse

Die Ausstellung zeigt künstlerische Positionen, die sich auf gesellschaftspolitischer und auf individueller Ebene mit konstruierten Hindernissen sowie mit Widerstand befassen. Auf Widerstand stößt man oder leistet ihn, Hindernisse sind vorhanden oder konstruiert. Barrieren wollen als Blockaden erst einmal erkannt und wahrgenommen werden, fordern Umwege, Zeit, Überlegungen und Techniken, wie sie überwunden werden können. Die gezeigten Arbeiten thematisieren unterschiedliche Dispositionen, Bezugsfelder und Überwindungsmöglichkeiten von Barrieren und auch deren Scheitern. Gesellschaftliche Normsetzungen und Strukturen werden auf deren Hindernisfaktor hin geprüft und partizipatorische Handlungsweisen als Möglichkeiten des Widerstands untersucht.

 

Hindernisprotokolle

Was wird als Hindernis wahrgenommen, wer baut Hindernisse auf und wer geht wie mit Hindernissen um? Komplexe Gegebenheiten, Vorschriften und ökonomische Bedingungen, Mangel oder antrainierte Verhaltensweisen etc. können sich als Hindernisse herausstellen. Normierungen und Regelsysteme engen auf gesellschaftspolitischer Ebene Handlungsspielräume ein und geben bestimmte Verhaltensmöglichkeiten vor, im positiven wie im negativen Sinne. Gesetze, Sozialisierung, Religion etc. definieren Handlungsspielräume, sanktionieren Übertretungen, arbeiten mit einem Schuldsystem, das mit Ausgrenzung auf Regelverstöße reagiert. Symbolische Ordnungssysteme können als Richtlinien oder Barrieren interpretiert werden.

Unterschiedliche Standpunkte und soziale Stellungen definieren die Position, ob etwas oder jemand als Hindernis wahrgenommen wird oder nicht. Weiters spielen Bildung und Sozialisation im Erkennen, in der Definition und in der Bewältigung von Hindernissen eine große Rolle. Was können staatliche und wirtschaftliche Systeme verhindern oder ermöglichen und in wieweit hängen sozialpolitische und ökonomische Hindernisse mit subjektiven Hindernissen zusammen? Wie wirken sich politische und sozialisierungsbedingte Hindernisse auf den Einzelnen aus?

Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsbedingungen und nicht vorhandene Arbeit stellen sich als größte Lebenshindernisse dar, die Alltag und Überleben bestimmen. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit und Kurzarbeit sind Hindernisfaktoren, die ein gesichertes Einkommen und gesicherte Arbeitsverhältnisse nicht mehr gewähren. Hartz 4, Eineurojobs oder geringe Löhne reichen nicht zum Überleben. Der Mangel an Arbeitsplätzen ist ein wirtschaftspolitisches Produkt, das durch neoliberale Entlassungspolitik zu Gunsten der Konzernbetreiber und Shareholder forciert wurde. ArbeitnehmerInnen werden in diesem Kontext als Hindernis definiert, das üppige Dividendenausschüttungen verhindern kann. Von ArbeitnehmerInnenseite aus stellt diese Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik ein Hindernis dar, das Arbeit als Privileg definiert, Löhne drückt und Unsicherheit produziert. Dadurch wird soziale Gleichstellung und Chancengleicheit verhindert und eine Spaltung der Gesellschaft in eine arbeitende und eine arbeitslose Bevölkerung forciert. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit Hindernisse bewusst in gesellschaftliche Systeme eingeführt werden: Hindernisse, wie Mangel an Arbeit aufgrund neoliberaler Entlassungspolitik nutzen den Vermögenden, indem sie die Arbeitsmarktpolitik mehr und mehr allein bestimmen, Arbeitsbedingungen definieren, Gewerkschaften schwächen, etc.

Ein Prinzip, das auf vielen gesellschaftspolitischen Ebenen funktioniert: Maßnahmen werden für nötig erklärt, um bestimmte wirtschaftliche und politische Interessen durchziehen zu können mit der Rechtfertigung, dass es keine andere Möglichkeit gibt, als beispielsweise den Banken mit Steuergeldern zu mehr Eigenkapital zu verhelfen, um Kredite zu finanzieren, die dann äußerst spärlich verteilt werden. Hindernisse werden errichtet um Eigenvorteile durch Ausschluss anderer sicher zu stellen. Am Beispiel der Finanzkrise können diese Taktiken sehr genau beobachtet werden: Die Finanzierung der Banken mit Steuergeldern wurde als einzig mögliche Vorgehensweise verkauft, um einen noch größeren Kollaps zu verhindern. Hauptsache die Banken wurden gerettet. Die damit geknüpfte Bedingungen bezüglich Regulierungsmaßnahmen waren und sind unzureichend und scheinen zu versanden. Firmen-Kredite hätten beispielsweise auch vom Staat direkt an KreditnehmerInnen vergeben werden können, wenn nicht alle verstaatlichten Banken privatisiert worden wären. Die Folgewirkungen dieser Vorgangsweise bezahlt die nichtvermögende Bevölkerung. Die Errichtung von Hindernissen und deren Bewältigungstechniken stehen in einem genauer zu untersuchenden Kosten-Nutzen-Verhältnis. Wer profitiert von einem installierten Hindernis und wer muss die Rechnung bezahlen? Werden Hindernisse u.a. nicht bewusst eingesetzt, um als Abgrenzungsmethode Eigeninteressen zu schützen? Zugangsbeschränkungen für Hochschulen, Privatschulen oder auch restriktive MigrantInnenpolitik können als Beispiele angeführt werden. Elitisierungs- und Abgrenzungspraktiken sind die Folge und spalten die Gesellschaft in Zugehörige und Ausgeschlossene.

Hindernisse werden nicht nur von gesellschaftspolitischen Entwicklungen, Interessen und Ordnungssystemen geprägt sondern auch in subjektiven Bereichen errichtet und teilweise überwunden. Sozialisierungsbedingte Förderungen oder Nichtförderungen, sowie spezielle Fähigkeiten, Habitus etc. spielen hierbei eine große Rolle. Mangel an sozialer Kompetenz kann sich als sozialisierungsbedingtes Hindernis herausstellen, Emotionen, Erfahrungen, Enttäuschungen und Verletzungen können zur Errichtung von Mauern führen, die als Schutz gedacht sind, jedoch Hindernisse für persönliche Entwicklungen darstellen können. Die Errichtung innerer Barrieren kann viele Formen und Folgen haben: Festhalten an Traditionen, Coolness, Sprachlosigkeit, oder das Verstecken hinter Höflichkeitsgesten können zu Verunsicherung, Isolation, Hyperaktivität, Depression, Beziehungsunfähigkeit etc. führen. Sprache spielt im Barriere Errichten oder Überwinden eine zentrale Rolle. Hierarchische, machtorientierte, freundschaftliche, etc. Strukturen werden durch Sprache gebildet und definieren Beziehungsfelder, barrierecodierte oder barrierefreie Zonen. Spielerischer Umgang mit Hindernissen oder direkte und indirekte Hindernisbewältigungen können sich aber auch als Umwege für positive Entwicklungsprozesse herausstellen.

Welche Methoden der Hindernisbewältigung haben sich in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt? Coachingprogramme versprechen die Lösung aller Probleme und die Bewältigung aller Hindernisse, sobald ziel- und leistungsorientiert Präsentationsformen optimiert werden. Effizienz- Optimierung, Training, Selbstkontrolle, Konkurrenz, etc., Begriffe der Wirtschaft und des Sports werden in den privaten Bereich transferiert und bestimmen mehr und mehr auch die Beziehungsfelder. In privaten Beziehungen wird Hindernissen nunmehr mit den selben Techniken begegnet wie in ökonomischen Bereichen. Durch Coachingprogramme wird Normierung und Verhaltensgleichheit angestrebt. Bei Nichtentsprechen dieser Verhaltensregeln wird der oder die Untrainierte als gruppenhinderlich oder als unkooperativ definiert.


Widerstandsprotokolle

Eine andere Möglichkeit des Umgangs mit Hindernissen ist die Entwicklungen von Widerstand, aktive Handlungen, die sich gegen gesellschaftspolitische Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Gesetzte, Versäumnisse, Partizipationsregeln, Verordnungen, Missstände, etc. richten können. Ablehnende Haltungen und die daraus resultierenden Handlungen richten sich konkret gegen Regeln, Normen, Machtverhältnisse, Ideologien, sozialpolitische Vorgangsweisen, Gesetzgebungen etc. mit dem Anspruch auf andere Handhabungsmodelle. Unzufriedenheit mit herrschenden Verhältnissen ist der Ausgangspunkt für diese Form der Partizipation. Gesellschaftspolitisch funktioniert Widerstand nur im Kollektiv indem ständig neue Formen der Vernetzung und der Präsentation werden.

Am Beispiel der StudentInnenproteste im Herbst 2009, die von der Wiener Akademie der Künste ihren Ausgang nahmen und von den dortigen Universitäten bis nach Deutschland und den USA getragen wurden, können neue Formen des Widerstands beobachtet werden: der Protest gegen die Verschulung der Universitäten durch den EU weiten Bologna-Prozess wurde via Internet, Facebook, Twitter, Newsletter und Mailinglisten global organisiert. Die Hochschulproblematik betrifft viele der europäischen Universitäten, die bestrebt sind, mit dem Bologna-Prozess ein einheitliches europäischen Hochschulsystem zu etablieren. Erstmals entstand nach vielen Jahren wieder, bedingt durch die EU konformen Universitätsnormen und mit Hilfe der neuen Kommunikationsformen, so etwas wie eine internationale Solidarität innerhalb der StudentInnenbewegung. Eine weitere neue Methode des Widerstands war die Aufsplitterung der die Verhandlungen führenden StudentInnenvertreterInnen – und die Aufteilung der RepräsentationsvertreterInnen, die medial auf die katastrophale Lage der StudentInnen verwiesen, Lösungsforderungen präsentierten und besser informiert waren als die zuständigen PolitikerInnen.

Konkrete Forderungen die durch praktische Erfahrungen von Missständen entstanden sind, wurden formuliert und bildeten die Basis, um vorherrschende Systemregeln von unten her zu verändern. Reale und virtuelle Partizipation war hierbei Voraussetzung, um politische und mediale Aufmerksamkeit zu erreichen.

Politischer Widerstand kann nur durch eine große Anzahl von Protestierenden etwas erreichen. Wie man 2009 aber auch schon die Jahre davor im Iran gesehen hat, benötigt es oft mehrere Anläufe. Widerstand formiert sich aus extremer Unzufriedenheit mit herrschenden Verhältnissen, die arme Bevölkerungsschichten und die schwächsten Glieder in einer Gesellschaft am meisten zu spüren bekommen. Passiver Widerstand kann sich leicht in aktiven Widerstand verwandeln und wird oftmals bereits im Anfangsstadium massiv unterdrückt. Vorstellungen von einer gerechteren Gesellschaft und das Agieren aus der Position der Machtlosen heraus, prägen diese Form des Widerstands. Der Moment in dem sich Widerstand formiert, setzt jahrelangen Leidensdruck und Unzufriedenheit frei und in eine Bewegung der organisierten Gegenwehr um.

Ein Recht auf Widerstand ist im deutschen Grundgesetzt zu finden: das Widerstandsrecht (Artikel 20, Absatz 4), verbürgt jedem Deutschen das Recht gegen jedermann Widerstand zu leisten, der die im Grundgesetz verankerte freiheitliche demokratische Grundordnung außer Kraft setzt.

Formen individuellen Widerstands können durch eine innere Emigration, Verweigerung von Akzeptanz, künstlerische Aktionen, Schweigen, Ungehorsam, Provokation, Zivilcourage etc. zu Tage treten oder auch unsichtbar bleiben. Je nach Situation und nach Disposition der Handelnden, verweisen diese Aktionen auf Bewusstseins- und Wahrnehmungsprozesse, die sich kritisch mit hegemonialen Systemen und gesellschaftspolitischen Phänomenen auseinander setzen, und Reaktionsformen definieren. Widerstand kann sich aber auch durch unterschiedliche Kommunikationsformen zeigen und zur totalen Ablehnung, Blockade oder Aggression führen.

Eine Variante davon wäre, die Verlagerung von Widerständen, indem sie in eine scheinbar positive Gegenstrategie umgewandelt werden. Das ursprüngliche Objekt des Widerstands, wie beispielsweise Chancenlosigkeit von Jugendlichen, wird von den Betroffenen nicht bekämpft, sondern umgangen. Die Reaktionen und die Forderungen richten sich nicht an die zuständigen Stellen, sondern sind selbstbezogen und laufen beispielsweise auf eine Aufwertung von Männlichkeit, Machismus, Rassismus und Sexismus hinaus. Machtlosigkeit wird sozusagen indirekt in eine Demonstration von Macht umgewandelt, auf einer körperlichen und sprachlichen Ebene ausgetragen und in ein machtorientiertes Differenzierungssystem transformiert, das von dem was man hat oder ist ausgeht: männliche oder nationale Identifizierungen bieten sich hierbei an.

Wann leistet wer und wie Widerstand? Manche überhaupt nicht, manche radikal: welche Rolle spielt Bildung und Sozialisation in diesem Bereich? Fördert oder verhindert der Staat eine Ausbildung von kritischen BürgerInnen?

Die Arbeiterbewegung ist eines der wichtigsten Beispiele für Widerstand, die im 20. Jahrhundert international agierte, mühsam Arbeitsrechte für bessere Arbeitsbedingungen erkämpfte, Ausbeutung reduzierte und erfolgreich bessere Lebensbedingungen durchsetze. Die erkämpften Arbeitsrechte wurden in den letzten 30 Jahren nach und nach wieder reduziert. In Zeiten des Prekariats und der enormen Zahl von Arbeitslosen wäre Widerstand von dieser Seite zu erwarten, wird jedoch von den Gewerkschaften zu wenig unterstützt und ist ohne Lobby. Neue Formen der Aufteilung und Umstrukturierung von Arbeit innerhalb eines sozialen Systems wären Diskussionsmöglichkeiten in diese Richtung.

Unterschiedliche Formen des Widerstands bilden in gesellschaftlichen oder privaten Systemen wichtige Korrektive, um Änderungen herbeizuführen oder bessere Lebensbedingungen innerhalb demokratischer Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Möglichkeit von Widerstand und die Aufmerksamkeit gegenüber Widerstandsbewegungen spielt hierbei eine zentrale Rolle. Missachtung führt zu Radikalisierung. Der Umgang mit Hindernissen und mit Widerstandsbewegungen und die Möglichkeit für die Bildung von Widerstand sind entscheidend. Hindernisse werden nur scheinbar weggecoacht und Widerstandsbewegungen solange diffamiert, bis sie Teil des Mainstreams sind. Die gezeigten Positionen beschäftigen sich mit diesen unterschiedlichen Facetten von Hindernissen und Hindernisbewältigungen sowie mit Modellen des Widerstands.

 

KünstlerInnen